Chiemseekonferenz 2018

Von wegen Palmen am Chiemseeufer

Quelle: Chiemgau-Zeitung / 19.11.2007

Wachsen in einigen Jahrzehnten Palmen am Chiemseeufer? Erwartungen, die in diese Richtung gehen, korrigiert Professor Dr. Wolfgang Seiler, eine Kapazität in der Klimaforschung.

Es sei «absolut irrig», anzunehmen, dass sich durch die Erderwärmung in diesem Jahrhundert am Bayerischen Meer eine Vegetation wie am Mittelmeer einstellt.Der Professor im Ruhestand sieht ganz andere Folgen am Horizont heraufziehen: Der Sommer werde künftig heiß und trocken. Die Niederschlagsmenge werde im Voralpenland um 30 bis 40 Prozent zurückgehen. Trockenperioden werden laut Seiler «länger und intensiver». Und weiter: «Zunehmen werden die Starkniederschläge» - und damit die Gefahr von Überschwemmungen und Hochwasser.
Der ehemalige Direktor des Institutes für Metereologie und Klimaforschung am Forschungszentrum Karlsruhe sagte auf der Klimatagung des Abwasser- und Umweltverbandes (AZV) Chiemsee in Bernau (wir berichteten bereits), dass der Klimawandel «schneller und umfangreicher» vonstatten gehe als bislang angenommen worden war. Weltweit steige weiter der Ausstoß von Treibhausgasen. In diesem Jahr werde er einen neuen Spitzenwert erreichen.
Seit Beginn der Messungen im Jahr 1860 sei die mittlere Jahrestemperatur um 0,9 Grad gestiegen, informierte der Wissenschaftler. In diesem Jahrhundert werde sie um «mindestens drei Grad» weiter zunehmen. In der Summe wird sich damit laut Seiler in einem Zeitraum von rund eineinhalb Jahrhunderten voraussichtlich ein Plus von vier Grad ergeben. Ein Temperaturanstieg in dieser nur scheinbar kleinen Größenordnung ziehe tiefgreifende, globale Veränderungen des Klimas nach sich. «Gerade einmal vier Grad betragen die Temperaturschwankungen zwischen der letzten Eiszeit und der heutigen Warmzeit», so der Professor.
Wie in anderen Industriestaaten sei der Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland besonders hoch. Aus diesem Grund vollziehe sich auch die Erwärmung im Voralpenland, so der Professor weiter, doppelt so schnell wie im globalen Vergleich. Ein weiterer Temperaturanstieg von rund drei Grad werde in diesem Jahrhundert einschneidende Veränderungen mit sich bringen. In der Region Chiemgau-Inn-Salzach-Berchtesgadener Land werden sich die Niederschläge seinen Angaben zufolge vom Sommer in den Winter «saisonal umverteilen». Starke, anhaltende Regenfälle werden in Zukunft nach Dafürhalten Seilers keine Seltenheit mehr sein. Mit großen Wassermassen müsse nun häufiger gerechnet werden als früher. Was bislang ein «Jahrhunderthochwasser» gewesen sei - also ein Hochwasser, das sich durchschnittlich nur einmal in hundert Jahren ereignet -, sei jetzt alle zehn Jahre zu erwarten.
Die Erwärmung werde sich aber auch ganz unmittelbar auf die Gesundheit der Menschen auswirken. So rechnet Seiler damit, dass die Herz-Kreislauf-Beschwerden und -Erkrankungen zunehmen. Ebenso begünstige eine Erwärmung die Ausbreitung von Schädlingen. Weltweit vergrößere sich auch die Gefahr von Epidemien.
Durch den Temperaturanstieg wird der Sommer im Voralpenland immer heißer - und der Winter milder. Zwar werde von Dezember bis März auch weiter Schnee fallen, vorwiegend aber in höheren Lagen, so der Professor weiter. Die weiße Pracht werde nicht mehr so lange liegen bleiben. «Die Wintersaison wird immer kürzer», prophezeite Seiler. Vor diesem Hintergrund sieht er für Skiorte in tiefen Lagen keine Zukunft mehr. Viele Lifte werden ihm zufolge eingestellt werden müssen.
Riesen-Chance für das Alpenvorland
Beeinträchtigt der Klimawandel den Tourismus im Winter, so begünstigt er ihn jedoch im Sommer. So sieht Seiler in der Erwärmung auch eine «Riesen-Chance» für das Alpenvorland. «Der Sommer wird immer trockener, wärmer und länger.» Aus diesem Grund werden viele Urlauber «zu uns kommen» - vor allem auch jene, die jetzt noch ans Mittelmeer fahren, dann aber neue Ziele suchen, wenn's dort noch heißer wird.
Zu den «Gewinnern» zählte der Klimaexperte auch die Landwirte. Denn durch die Erwärmung wachse die Saat, die sie ausbringen, besser und vor allem schneller. «Die Ernte kann eher eingefahren werden», so der Professor. Was der Bauer bislang erst im August vom Feld geholt habe, das ernte er jetzt schon zum Teil im Juli.
Der Klimawandel berge Gefahren in sich, aber auch Chancen, betonte der Professor. Er rief dazu auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Ausstoß an Treibhausgasen weltweit zu verringern. Gleichermaßen sah er die unbedingte Notwendigkeit, sich auf den Klimawandel und die Erwärmung umzustellen. «Wir müssen uns anpassen», forderte er «integrierte, ganzheitliche Ansätze». Auch und gerade auf kommunaler Ebene sah er Handlungsmöglichkeiten. Als Beispiel nannte er etwa die Anlage von Stauseen als Maßnahme zugunsten des Hochwasserschutzes wie auch als geeignetes Mittel, Wasser in Regenperioden zu speichern, das dann in Trockenzeiten gebraucht wird. pü